Zu Besuch bei Vitra in Weil am Rhein

Design, Kunst und Kultur, wohin man blickt: ein Ausflugstipp

von

Natalie Glebe

Veröffentlicht am:

July 20, 2021 00:00

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In der aktuellen Ausstellung im Vitra Design Museum (Frank Gehry, 1989) wird erstmals das deutsche Design der Nachkriegszeit als gemeinsame Geschichte betrachtet. Mit allen Unterschieden und Brüchen, Gemeinsamkeiten, Querverbindungen und Hintergründen: »Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte.« Vermeintlich unterscheiden sich die Entwürfe aus dem Westen mit seinem Wirtschaftswunder und dem Osten mit seiner sozialistischen Planwirtschaft. Doch trifft das wirklich auf alle Bereiche des Produktdesigns zu? So viel sei Ihnen verraten: nein, das ist alles viel komplexer. Noch bis zum 5. September haben Sie die Gelegenheit die großartige Ausstellung zu besuchen. Nebenan in der Vitra Design Museum Gallery können zudem Freunde des ausdrucksstarken Designs um Ettore Sottsass, den Gründer der Bewegung, noch bis 23. Januar 2022 die Ausstellung »Memphis. 40 Jahre Kitsch und Eleganz« besuchen. Weitere Informationen zu den Ausstellungen finden Sie hier.

(1) Können Sie auf Anhieb erkennen, welches Design aus der BRD und welches aus der DDR ist? (2) Die Raumfahrt und Eroberung des Weltalls beflügelt in den 1960er/70er Jahren in beiden Ländern zum Space Age Design. (3) Bunt gehört in diesem Fall zur BRD, der Suhrkamp-Taschenbuchreihe, gestaltet von Willy Fleckhaus (seit 1963). Die Entscheidung, die Spektrum-Taschenbuchreihe (1968-1993) von Lothar Reher in Schwarz-Weiß zu gestalten, war zum Teil dem Mangel an Farbfilm in der DDR sowie dessen hohen Produktionskosten geschuldet. Auflösung zu (1): im Vordergrund »Ulmer Hocker« von Max Bill (West), im Hintergrund an der Wand, links oben alle drei Stühle aus dem Westen, darunter Ost, West, Ost. Rechts das Schaukelpferd von Walter Pabst aus dem Westen. Darunter der Egon Eiermann Sessel E 10, ebenfalls aus dem Westen. Die drei Isolierkannen in der Mitte oben sind von Margarete Jahny aus dem Osten.

Das VitraHaus

Nicht nur die Architekur des VitraHauses, auch die Inneneinrichtung ist bemerkenswert: ein Ort der verschiedensten Designströmungen und pure Inspirationsquelle für alle Design-Enthusiasten. Den Rundgang durch das VitraHaus startet man am besten ganz oben im letzten Jahr neu von Charlap Hyman & Herrero eingerichteten Loft. Wer kann, nutzt die Treppe nach oben, deren geschwungenen Wände als Leinwand für die Entstehungsgeschichte von Vitra dienen. Ganz oben, mit Blick nach Nord-Osten in die hügelige Umgebung, löst der grüne Teppich an Boden und Wänden die Grenze zwischen Innen- und Außenraum auf und schafft einen Eindruck von Weitblick. Die im Loft versammelten Designstücke sind Hommagen an Kunstwerke, Filme, Charaktere, Bücher und Orte, die das Architektur- und Design-Unternehmen Charlap Hyman & Herrero aus Los Angeles / New York seit ihrer Gründung faszinieren.

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Akari 15A Light Sculpture Pendelleuchte
Größenvariante(Shop): Option 3 | Farbe: natur beige
Akari Light Sculpture Leuchten-Serie. »Das Licht einer Akari leuchtet wie das Licht der Sonne, das durch ein Shoji-Papier gefiltert wird. Die Magie des Papiers verwandelt die kühle Elektrizität zurück ins ewige Licht der Sonne. Damit ihre Wärme auch in der Nacht weiter unsere Räume füllen kann.« Treffender als der Designer Isamu Noguchi selbst kann man kaum seine 1951 für Vitra geschaffene Leuchten-Serie beschreiben, deren Name der japanische Ausdruck für Helligkeit und Licht ist. Über hundert Modelle – von der Tischleuchte über die Stehleuchte bis zur Pendelleuchte - kreierte der amerikanisch-japanische Designer aus feinen Bambusstreifen und Shoji-Papier, das aus der Rinde des Maulbeerbaums gewonnen wird. Alle Lampenschirme dieser Vitra Leuchten-Serie tragen als Zeichen ihres Originalentwurfes ein rotes Signum in Form einer Sonne und Halbmond und das Isamu Noguchi Schriftzeichen. Die Schirme und Gestelle werden auch heute noch bei der japanischen Ozeki Manufaktur in Gifu für Vitra gefertigt. Akari 15A Light Sculpture Pendelleuchte. Wie ein leuchtendes Ufo spannt diese von Isamu Noguchi entworfene Pendelleuchte ihren papierenen Lampenschirm in Ellipsoid-Form auf, den Vitra in unterschiedlichen Größen anbietet: Die Pendelleuchte 15A ist die größte, ellipsoide Hängelleuchte dieser Serie, in die ein Leuchtmittel einzusetzen ist (Fassung E27). Die horizontal dicht angeordneten, zarten Bambusstreifen geben der von Isamu Noguchi für Vitra entworfenen Akari 15A Light Sculpture Pendelleuchte ihr typisches Aussehen.

CHF 567.00 CHF 1’135.00

Durch das VitraHaus flanierend fällt immer wieder die verschlungene und »gestapelte« Architektur von Herzog & de Meuron auf, die bei jedem Schritt, auf jeder Ebene neue Blickachsen gewährt. Jeder Raum oder Bereich verkörpert zudem einen anderen Einrichtungsstil und Zweck, in dem die Vitra Produkte erlebbar gemacht werden: Bibliothek, Wohnzimmer, Lounge, Arbeitszimmer. Auf dem Marktplatz (Bild unten mittig) werden saisonal ausgewählte Designstücke auch von anderen Marken und Künstlern ausgestellt. In den Schaukästen werden einzelne Designer wie Jasper Morrison und Hella Jongerius und ihre Entwürfe für Vitra präsentiert. Ergänzt werden die Wohnwelten von Entwürfen und Wohnaccessoires anderer Marken außerhalb des Vitra-Universums, um einen allumfassenden, designgeschichtlichen Eindruck zu kreieren. Der Shop im Erdgeschoss bietet ein breit gefächertes Sortiment von Designobjekten, Wohnaccessoires und Publikationen von beispielsweise HAY und Alessi, die direkt mit nach Hause genommen werden können.

Unser Besuch auf dem Campus war jedoch nicht nur ein Rundgang. Wir wurden umfassend über aktuelle Maßnahmen zu mehr Nachhaltigkeit aufgeklärt. Auch Produktneuheiten und die kommende Winterkampagne wurden uns vorgestellt. Wir verraten hier und jetzt noch nichts, aber Sie können sich auf eine schöne Aktion freuen!

Nachhaltigkeit als Haltung

Victor Papanek (1923-1998), österreichisch-amerikanischer Designer und Designphilosoph, sagte einst: »Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als die des Industriedesigners. Aber viele sind es nicht.« Und wenn man da auch nur kurz drüber nachdenkt, muss man ihm leider zustimmen. Industrie- und Produktdesigner sorgen für Nachschub, füllen Lücken, optimieren, erfinden – und können dabei immensen Schaden anrichten, wenn sie sich nicht ihrer Verantwortung gegenüber der gesamten Umwelt bewusst sind. Sind sie sich ihrer Verantwortung bewusst, entstehen großartige, innovative Produkte, die nachhaltige Ressourcen nutzen, wie etwa Recyclingkunststoffe oder Holz aus FSC-zertifizierten Quellen.

Aus diesem Grunde forscht Vitra unter anderem aktuell daran, Recyclingkunststoffe zu optimieren, damit sie beispielsweise genauso stabil sind und im gleichen Farbspektrum produziert werden können wie Virgin-Kunststoffe. Den »Tip Ton RE« gibt es deshalb aktuell nur in Grau, die »natürliche« Farbe des Recycling-Kunststoffes. Die beliebte »Toolbox RE« des Designers Arik Levy – die selbstverständlich nicht auf das Tragen eines Menschen ausgelegt ist – wird hingegen bald schon in vielen Farben erhältlich sein und die reguläre Toolbox zum Ende des Jahres ablösen. 

Die relativ neu angelegte Magerwiese auf dem Vitra Campus steht in Kontrast zur geradlinigen Architektur – verkörpert aber eine ganz urwüchsige Schönheit. Rechts die Tankstelle (1953) von Jean und Henry Prouvé. 2003 wurde sie als eines von nur noch drei existierenden Exemplaren auf dem Campus installiert.

Prinzipiell hat sich Vitra einiges vorgenommen: bis 2030 möchte der Schweizer Hersteller sogar einen positiven Fußabdruck hinterlassen. Dabei stehen Biodiversität, Lebensdauer und Zyklus der Produkte, Partnerschaften und Rohstoffe, die Überarbeitung der eigenen Konzepte sowie die Vermittlung von Haltung und Wissen ebenso auf der Agenda wie Probleme zu lösen, anstatt sie abzuwälzen. Kurzfristige Maßnahmen wurden auf dem Vitra Campus bereits umgesetzt: Grünflächen werden zu Magerwiesen, Bienenkästen wurden aufgestellt, versiegelte Flächen wieder aufgebrochen und der »Oudolf Garten« von Piet Oudolf vor dem VitraHaus als Insekten- und Blumenparadies angelegt. Lebensmittel, die in den Restaurants und Kantinen verarbeitet werden, stammen bereits zu über 90% aus der Region. Vitra Circle Stores wurden eröffnet, um gebrauchten Produkten eine zweite Chance zu geben, und das Take Back Programm eingerichtet, um Produkte am Ende ihrer Lebensdauer fachgerecht in ihre Rohstoffe zu trennen, um diese anschließend recyceln zu können.

Weitere Informationen und den Nachhaltigkeitsbericht 2020 finden Sie auf www.vitra.com.

Die Tankstelle vor der Wiesentransformation. Foto: © Vitra

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